Mittwoch, 23. September 2009
Johs Ruhe im Gespräch mit der Bürgerinitiative „Big Brother sind wir!“
Die heimliche Bespitzelung ist allgegenwärtig. Kein Einkaufszentrum, keine Bankfiliale, keine Behörde, in der wir nicht mehr oder weniger heimlich von Kameras beobachtet werden. Walt G. Fansien von der Bürgerinitiative „Big Brother sind wir!“ warnt vor den Gefahren für unsere Demokratie.

Ruhe:
Herr Fansien, sie haben die Bürgerinitiative „Big Brother sind wir!“ gegründet. Was sind ihre Beweggründe?
Fansien:
Wir haben zwar Datenschutzbeauftragte, aber um den Schutz unserer Bilddaten kümmert sich niemand. In meinen Augen ist das ein Skandal! Wer weiß denn heute noch, wann, wo und von wem er bildlich erfasst worden ist und - und das ist in meinen Augen viel entscheidender - was mit diesen Bilddaten geschieht.
Ruhe:
Was fordern sie denn konkret?
Fansien:
Eine Möglichkeit wäre nun, analog dem Gewaltmonopol-Anspruch einen Bildmonopol-Anspruch des Staates einzuführen. Aus meiner Sicht wäre das die beste Lösung. Leider ist das in der Praxis nicht umsetzbar. Daher greifen wir von unserer Bürgerinitiative auf Vorstellungen zurück, die, äh, ich möchte einmal sagen, eher basisdemokratischer Natur sind.
Ruhe:
Sie fordern, die Bilder von Kameras im öffentlichen Raum allen Bürgern zugänglich zu machen?
Fansien:
Genau. Wir wollen keine Restriktionen, also keine Beschränkungen, an die sich sowieso niemand halten würde, sondern die freie Zugänglichkeit aller Kamerabilder für alle Bürger dieses Landes. Technisch ist das alles kein Problem.
Ruhe:
Richtig. Sie hatten uns in unserem letzten Gespräch dargestellt, wie so etwas funktioniert.
Fansien:
Genau! Wir wären in der Lage, innerhalb kurzer Zeit alle privaten Überwachungskameras in unser System zu integrieren. Was uns fehlt, ist bislang die gesetzliche Grundlage.
Ruhe:
Wie müsste die nach ihren Vorstellungen aussehen?
Fansien:
Grundsätzlich müsste jeder Betreiber bilderzeugender Systeme verpflichtet werden, seine Bilder über unser System zu veröffentlichen. Ausnahmen könnte ich mir nur bei bestimmten kommerziell betriebenen Kameras vorstellen, so zum Beispiel in peep-shows oder bei der Übertragung urheberrechtlich geschützter Ereignisse.
Ruhe:
Die Kosten …
Fansien:
… haben natürlich die Kunden zu zahlen, das sind in diesem Fall die Betreiber. Eine pauschale Gebühr, die letzten Endes jeder zu entrichten hätte, der eine stationäre oder mobile Kamera betreibt oder besitzt oder ohne unzumutbaren Aufwand zu betreiben oder zu besitzen in der Lage wäre. Abgewickelt würde das in unserem Auftrag über eine Gebühren-Einzugs-Service-Zentrale (GESZ). Ein ganz übliches Modell.
Ruhe:
Das klingt für mich alles sehr schlüssig, Herr Fansien. Haben sie keine Begfürchtungen, dass die so der Allgemeinheit zugänglich gemachten Bilder missbraucht werden könnten? Manipulationen sind heute leicht am PC durchzuführen. Mein Sohn zum Beispiel versteht es meisterhaft, Handyphotos seiner Lehrer so zu bearbeiten, dass jeder Betrachter sofort schweren Alkoholismus diagnostiziert. Äh, bei den Lehrern natürlich, nicht bei meinem Sohn. Ich meine: wie sehen sie die Gefahr derartigen Missbrauchs?
Fansien:
Nun, kriminelle Machenschaften gibt es in allen Bereichen unserer Gesellschaft. So etwas kann man nie vollständig ausschließen. Aber was ihren Sohn angeht, Herr Ruhe, da sollten sie schon etwas achtgeben, da kann er gehörig Ärger bekommen!
Ruhe:
Er meint, seine Lehrer hätten Humor, und die Schule sei traditionell ein Ort der Manipulation. Irgendwie müsse er sich ja behaupten, und es sei allemal besser als Amok zu laufen. Außerdem brächte es jede Menge Spaß und verschaffe ihm Ansehen unter den Klassenkameraden.
Fansien:
Da hat er recht. Aber ich möchte noch auf einen ganz wesentlichen Aspekt hinweisen: wenn alle Bilddaten öffentlich zugänglich sind, kann sich jeder all die verschiedenen Versionen der Bilder anschauen, und er kann sich sozusagen sein eigenes Bild davon machen.
Ruhe:
Sie meinen, die Welt würde in ihrer ganzen potentiellen Vielgestalt sichtbar …
Fansien:
Äh, ich … nein, ich will darauf hinaus: es ist sozusagen eine praktizierte Demokratie: die Bürger können selbst wählen, was manipuliert ist und was nicht.
Ruhe:
Sie entwerfen hier ein Bild des kritischen, mündigen Bürgers. Das gefällt mir sehr, Herr Fansien. Vielen Dank für das Gespräch!

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