Montag, 19. Oktober 2009
Flächendeckender Sozialbetrug? – Johs Ruhe im Gespräch
Um die Verhältnismäßigkeit fristloser Kündigungen aufgrund von Bagatellvorwürfen ist eine intensive Diskussion entbrannt. Doch die bekanntgewordenen Fälle besitzen noch weiteren Sprengstoff. Johs Ruhe sprach mit Ernest Sprung, dem bekannten Experten für Arbeitsrecht.

Ruhe:
Herr Dr. Sprung, wenn man die einschlägigen Tageszeitungen anschaut, muss man den Eindruck gewinnen, die deutschen Arbeitnehmer seien in erster Linie mit dem Diebstahl von Lebensmitteln am Arbeitsplatz beschäftigt. Ob Brotaufstrich, Frikadellen oder ganze Maultaschen, offenbar gibt es nichts, was vor dem unberechtigten Zugriff der Angestellten sicher ist.
Sprung:
So ganz falsch, Herr Ruhe, ist dieser Eindruck – auch wenn die von ihnen erwähnten Fälle, also die angeführten Fälle sind natürlich alles Einzelfälle, also bislang sind das ja glücklicherweise alles Einzelfälle - aber so ganz falsch ist es sicherlich nicht. Ich will das jetzt nicht überbewerten, schließlich liegen bislang keine belastbaren statistischen Daten, also ich meine, dass man bis jetzt zumindest noch keine sicheren Aussagen machen kann, aber wir kommen nicht umhin, das kann man sicherlich auch so sagen, dass zumindest eine Tendenz in diese Richtung festzustellen ist.
Ruhe:
Immerhin haben sie das Thema zum Anlass genommen, auf einen nicht ganz unwesentlichen Nebenaspekt hinzuweisen.
Sprung:
Ja. Es ist doch auffällig – und ich bin schon erstaunt, dass niemand sonst … ich frage mich schon, wieso eigentlich niemandem außer mir dieser Punkt, immerhin geht es doch um das elementare Prinzip der Steuergerechtigkeit, das hier ganz wesentlich verletzt wird, und das angesichts leerer Kassen, ich meine, jeder weiß doch, wie es um unsere öffentlichen Haushalte bestellt ist, das ist doch der eigentliche Skandal!
Ruhe:
Sie sprechen von dem Umstand, dass die betroffenen Arbeitnehmer allesamt argumentierten, die von ihnen praktizierte Selbstbedienung sei ein von den Firmenleitungen seit Jahren toleriertes Gewohnheitsrecht?
Sprung:
Sie sagen es ja selbst, Herr Ruhe! Seit Jahren praktiziertes Gewohnheitsrecht! Hier geht es um geldwerte Vorteile, die zwangsläufig, da kann es ja gar keine zwei Meinungen geben, Herr Ruhe, die Sachlage ist doch eindeutig, und ich kenne auch niemanden, der das ernsthaft bestreiten würde!
Ruhe:
Herr Sprung …
Sprung:
Wenn sie mich bitte diesen Gedanken, Herr Ruhe, also ich möchte hier diesen einen Gedanken noch zu Ende bringen, da wäre ich ihnen schon dankbar, wenn sie mich hier nicht ständig unterbrechen würden, ich finde, dass das einfach zu einer gewissen Gesprächskultur gehört, dass man sich nicht dauernd ins Wort fällt!
Ruhe:
Entschuldigen sie, Herr Sprung …
Sprung:
Sehen sie! Genau das meinte ich! Kaum beginne ich, ein Argument vorzutragen, reden sie dazwischen. Dann können wir uns das Ganze hier auch schenken.
Ruhe:
Sie sprachen von geldwerten Vorteilen, Herr Sprung.
Sprung:
Ganz genau. Geldwerte Vorteile! Und geldwerte Vorteile, da werden sie mir ja nun nicht widersprechen wollen, die müssen in unserem Staat nun einmal – und das ist auch richtig so, wo kämen wir denn hin – also die müssen bei uns versteuert werden, und nun frage ich sie: sind da Steuern gezahlt worden? Sind da Sozialbeiträge abgeführt worden? Doch wohl nicht! Ich bin ja keiner, und ich glaube, da kennt man mich hier, also ich bin keiner, der ständig das Wort „Skandal“ in den Mund nimmt, aber – und ich glaube, da wird mir niemand hier widersprechen wollen – also das ist doch der eigentliche Skandal! Steuerhinterziehung und Sozialbetrug, und das über viele Jahre, ich behaupte hier sogar, man kann ohne weiteres unterstellen: Jahrzehnte! Das ist nicht hinzunehmen! Der ehrliche Bürger, Herr Ruhe, der ehrliche Bürger wie sie und ich, der ist doch wieder einmal der Dumme!
Ruhe:
Das, Herr Sprung, ist wohl wahr. Ich danke ihnen für das Gespräch.

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