Montag, 28. September 2009
Legitimität des Parlamentes gestärkt – Johs Ruhe im Gespräch
Politiker aller Parteien rätseln über die geringe Beteiligung an der Bundestagswahl. Johs Ruhe sprach mit dem Politikwissenschaftler Prof. Gerhard Schnallsteg über Ursachen und Folgerungen.

Ruhe:
Herr Prof. Schnallsteg, die Wahlbeteiligung stellt einen neuen Negativrekord dar. Die Parteien haben sich in den ersten Reaktionen enttäuscht gezeigt.
Schnallsteg:
Das ist nach einem langen und anstrengenden Wahlkampf nachvollziehbar. Sehen sie, unsere Politiker haben sich außerordentlich bemüht, ihren Wählern ein umfassendes und auf die aktuellen Umstände abgestimmtes Angebot zu machen …
Ruhe:
… sie sprechen von den Parteiprogrammen?
Schnallsteg:
Genau. Sehen sie, die Entwicklung von Parteiprogrammen unterscheidet sich heutzutage nicht mehr von der Entwicklung anderer Produkte, wie z.B. Waschmitteln.
Ruhe:
Können sie uns das näher erläutern?
Schnallsteg:
Zunächst einmal werden Daten aus der Marktforschung gesichtet, man bemüht sich herauszufinden, was der Wähler tatsächlich will, dann schaut man natürlich auch, was die Konkurrenz macht. Schließlich wird die Positionierung des eigenen Produktes festgelegt, das ist schon ein recht komplexer Vorgang, das muss mit dem Marketing abgestimmt werden, die Werbeabteilung hat ein Mitspracherecht, und schließlich legen die Produktdesigner dann das fertige Programm vor. Und da kann ich natürlich nachvollziehen, wenn nach all dieser Mühe die Gleichgültigkeit des Wählers bei unseren Politikern Enttäuschung hervorruft.
Ruhe:
Was halten sie denn von der Einführung einer strafbewehrten Wahlpflicht?
Schnallsteg:
Das wäre eine vollkommen überzogene Reaktion. Wozu denn auch? Ich sagte schon, dass ich die Enttäuschung unserer Politiker verstehen kann, ja, für einen Politiker sind Wahlstimmen nicht zuletzt eine Anerkennung ihrer Bemühungen, und unsere Politiker sind auch nur Menschen und freuen sich, wenn man ihre Arbeit würdigt. Aber letzten Endes ist das doch nicht so wichtig, lassen sie mich noch einmal bei dem Beispiel mit dem Waschmittel bleiben: auch wenn dem Wähler gleichgültig ist, welches Pulver zum Einsatz kommt, gewaschen wird dennoch.
Ruhe:
Aber benötigen unsere Abgeordneten nicht die Stimmen der Wähler, um als Volksvertreter glaubhaft sein zu können? Und bedeutete das nicht, dass bei einer gesunkenen Wahlbeteiligung auch die Legitimität des Parlamentes sinkt?
Schnallsteg:
Aber nein! Ganz im Gegenteil! Die steigende Gleichgültigkeit der Wähler zeigt ja, dass er die Produkte, die ihm zur Auswahl vorgelegt werden, qualitativ als gleichwertig betrachtet. Wie ich ihnen erläuterte, Herr Ruhe, werden die Parteiprogramme heute perfekt an die Erwartungen der Wähler angepasst – sozusagen im Windkanal getestet, wenn sie verstehen, was ich meine. Die Wahl ist damit eigentlich nur noch eine nachträgliche Zustimmung der Wähler zu den Einschätzungen, die er vorher den Markforschungsinstituten gegenüber abgegeben hat.
Ruhe:
Dann brauchten wir eigentlich doch gar keine Wahl!
Schnallsteg:
So ist es, Herr Ruhe. Aus meiner Sicht sind Wahlen heute entbehrlich, eher eine Art nostalgisches Dekor aus den Kindertagen der Demokratie. Aber sie schaden auch niemandem.
Ruhe:
Dann können wir davon ausgehen, dass alles beim Alten bleibt?
Schnallsteg:
Grundsätzlich ja. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch noch solche Phänomene wie Fortschritt und Globalisierung, aber daran können wir dann ja sowieso nichts ändern.
Ruhe:
Danke, Herr Professor, für die wie immer glasklare Analyse!

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