Donnerstag, 24. September 2009
Zu viele Apotheken in Deutschland – Johs Ruhe im Gespräch
Eine spürbare Senkung des Krankenkassenbeitragssatzes ist Ziel aller Parteien, weshalb etwa alle sechs Monate in Deutschland eine grundsätzliche Neuordnung des Gesundheitswesens ansteht. Immer wieder in der Kritik sind die Apotheken. Johs Ruhe sprach mit dem Politikwissenschaftler Prof. Gerhard Schnallsteg. Er ist Leiter des Instituts zur Erforschung gesellschaftspolitischer Interpretationsspielräume (IGI) und selbst medikamentenabhängig auf Medikamente angewiesen.

Ruhe:
Herr Prof. Schnallsteg, Ihr Kollege Prof. Dr. Jürgen Wasem kritisiert, dass es zu viele Apotheken gäbe, besonders in den Städten. Aber er will nicht nur weniger Apotheken, er wünscht auch eine Verlagerung aus den Städten in ländliche Gebiete und schlägt zu diesem Zweck die Schaffung einer Regulierungsbehörde vor. Was halten sie von diesem Vorschlag?
Schnallsteg:
Das ist ein hervorragender Vorschlag. Die Schaffung einer derartigen Regulierungsbehörde erhöht naturgemäß die Einflussmöglichkeiten von Politikern und Experten. Außerdem wäre das Problem: wohin mit den jetzt arbeitslosen Apothekern? elegant gelöst.
Ruhe:
Würde das denn dann überhaupt zu Einsparungen führen?
Schnallsteg:
Das ist nur schwer vorherzusagen. Es könnte durchaus auch etwas teurer werden, aber ich denke, dass das angesichts der zusätzlichen Möglichkeiten einer Kostensteuerung vertretbar wäre.
Ruhe:
Darüberhinaus plädiert Prof. Wasem für die Zulassung von Apothekenketten. Könnte es sein, dass Prof. Wasem in dieser Frage durch seine Kontakte zur Versandapotheke DocMorris beeinflusst wird?
Schnallsteg:
Selbstverständlich könnte das sein. Ich sehe da kein Problem. Ich muss aber sagen, dass ich mich mit dem Gedanken der Versandapotheke nicht anfreunden kann. Ich nenne ihnen einmal ein Beispiel, damit sie meine Bedenken nachvollziehen können. Viele gerade alte Menschen sind ja nicht mehr in der Lage, den winzigen Druck der Beipackzettel zu lesen. Versandapotheken werden ihnen über kurz oder lang eines dieser intelligenten automatischen Telefonsysteme anbieten, sie kennen das: „sagen sie vier für Service, sagen sie zwei für Beratung, ich verstehe sie nicht, sagen sie ...“ und so weiter, bis sie dann bei „drei für Beipackzettel vorlesen“ angekommen sind. Dann nennen sie das Medikament, und wenn sie nuscheln, weil sie ihr Gebiss nicht eingesetzt haben, werden sie falsch verstanden und bekommen die falsche Dosierung vorgelesen. So etwas endet dann schnell tödlich.
Ruhe:
Wie sehen denn Ihre Vorschläge aus?
Schnallsteg:
Die persönliche Beratung, also das Mitmenschliche, das Gespräch sozusagen von Mensch zu Mensch halte ich für unverzichtbar. Andererseits sind wir uns natürlich einig, dass das bisherige System nicht mehr bezahlbar ist. Warum also nicht den Weg gehen, den die Post uns vorgezeichnet hat? Eine intelligente Verbindung von Versandapotheke und den neuartigen Post-Shops bietet sich doch geradezu an. Die Lieferung erfolgt an das nächstgelegene – ich nenne das jetzt einmal so – PostPartnerPharma-Depot, kurz PPPD, und der freundliche und kompetente Servicemitarbeiter hinter dem Tresen liest ihnen gerne den Beipackzettel vor.
Ruhe:
Das würde tatsächlich funktionieren?
Schnallsteg:
Es wäre der optimale Kompromiss zwischen Qualität und Kosten.
Ruhe:
Besser als optimal geht es ja auch gar nicht! Vielen Dank, Herr Professor, für das Gespräch!

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