Donnerstag, 24. September 2009
Müntefering kritisiert das Demokratieverständnis der Deutschen – Johs Ruhe im Gespräch
Prof. Gerhard Schnallsteg ist Politikwissenschaftler und Leiter des Instituts zur Erforschung gesellschaftspolitischer Interpretationsspielräume (IGI). Johs Ruhe sprach mit ihm über die jüngsten Äußerungen des SPD-Vorsitzenden sowie die allgemein geäußerte Sorge wegen des geringen Interesses an der kommenden Bundestagswahl.

Ruhe:
Herr Prof. Schnallsteg, die Kritik an den Deutschen reißt nicht ab. Gerade hat SPD-Chef Müntefering den Vorwurf erhoben, die Deutschen entzögen sich ihrer Verantwortung.
Schnallsteg:
Dass Politiker die Wähler nach einer Wahl kritisieren, ist ja üblich und nachvollziehbar. Aber eine derartige Kritik bereits vor der Wahl, da muss ich als Wissenschaftler, aber auch als Beobachter des Zeitgeschehens fragen: was will der Herr Müntefering eigentlich?
Ruhe:
Nun, er hat gesagt, die Menschen säßen nur auf der Tribüne und behaupteten, dass sie alles besser könnten, wären aber nicht bereit, tatsächlich politisch aktiv zu werden.
Schnallsteg:
Der Müntefering hat das gesagt, wirklich? Dass alle Deutschen plötzlich Politiker werden sollten? Solch einen Unfug wird doch nicht einmal Herr Müntefering fordern. Stellen Sie sich mal vor, was das für ein Chaos gäbe: fünf Millionen Deutsche hielten in den Parlamenten die Stellung und die anderen 75 Millionen kungelten in irgendwelchen Ausschussgremien. Außerdem: Wenn wir alle Politiker würden, wo wären dann die notwendigen Experten? Ohne Leute wie Bert Rürup, nur als Beispiel - wer sollte Herrn Müntefering bzw. uns, den achtzig Millionen Politikern, denn dann sagen, was wir zu tun hätten?
Ruhe:
Er wünschte wohl, dass sich die Deutschen stärker in die politische Diskussion einbringen sollten.
Schnallsteg:
Will er wirklich hin zu dem Modell “Beate Klarsfeld“? Neinnein, der Müntefering ist doch der typische status quo-Verfechter, der ist doch grundsätzlich vollkommen zufrieden, so wie es läuft. Die einzige, die ihm reinredet, ist die Nahles, aber einen Klassenclown braucht er auch bei der SPD, sonst machten Gysi und Lafontaine die Politikcomedy ganz alleine.
Ruhe:
Sie meinen, dass Herr Müntefering gar keine politisch handelnden Bürger wünscht?
Schnallsteg:
Natürlich nicht. Was er wünscht, ja was er dringend benötigt, sind SPD-Stimmen. Aber SPD-Wähler sind heutzutage – und da unterscheiden sie sich letztlich nicht von denen der anderen großen Parteien - ja eher das genaue Gegentei von politisch handelnden Bürgern.
Ruhe:
Wir brauchen uns also keine Sorgen um Deutschland zu machen?
Schnallsteg:
Zumindest nicht um Müntefering.
Ruhe:
Vielen Dank, Herr Professor, für die Entwarnung!

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