Dienstag, 15. September 2009
"Realität ist Realität!" - Steven Pomp im Gespräch
Die Softwareschmiede "Easy Way Analytics" ist kaum jemandem bekannt. Dennoch gehört sie zu den großen Meinungsbildnern in unserem Land. Steven Pomp sprach mit Hermann Blinser, dem Geschäftsführer, über automatisch erzeugbare Realität.

Pomp:
Herr Blinser, sie arbeiten derzeit an einem ganz besonderen Projekt. Was können sie uns darüber erzählen?
Blinser:
Also das unterliegt ja einer ganz hohen Geheimhaltungsstufe, da kann ich ihnen eigentlich garnichts ...
Pomp:
Mönsch, Blinser, du Blödmann, nu red doch nicht son Scheiß!
Blinser:
Nun ja, also eigentlich hat das schon vor zwanzig Jahren angefangen, da hab ich ein kleines Programm geschrieben, das automatisch Briefe aus Textbausteinen erstellte. So Dankschreiben an die Oma oder Kondolenzbriefe und all solche unerfreulichen Dinge.
Pomp:
Das hört sich ja eher wie ein Studentenulk an.
Blinser:
War es auch. Dann kam die Professional Version für kleine Firmen, Absageschreiben an Bewerber, all so was, damit hab ich dann schon ein bißchen Geld verdient.
Pomp:
Ah!
Blinser:
Danach kam ich auf die Idee mit der Professional Extended Version speziell für Handwerksbetriebe, die war eine Granate. Da hatte ich so Dinge drin wie Entschuldigungsschreiben wegen Lieferungsverzögerungen und der Hammer war das Modul "Leistungsmängel". Genial, gerade bei Baumängeln! Das fing an mit der Verwunderung über angebliche Mängel, ging weiter mit der Leugnung dieser Mängel, der Behauptung, der Kunde habe die Schäden selbst verursacht und immer so weiter, 10-stufig, da sind sogar Rechtsanwälte reihenweise dran verzweifelt!
Pomp:
Und alles automatisch?
Blinser:
Vollautomatisch, auf Knopfdruck! Man mußte nur ein paar Vorgaben in den Einstellungen machen, die Firmendaten und die Branche und so was, und dann gab man ein paar Stichworte aus dem Beschwerdebrief ein: und zack!
Pomp:
Aber damit war noch nicht Schluß?
Blinser:
Da wurde es erst richtig interessant! Ohne meine Premium Political Version Fuzzy Logic kommt heute keine Partei mehr aus. Einfachste Bedienung: in den Einstellungen wird nur noch die Partei eingetragen, und dann ein Stichwort eingegeben, z.B. Rente oder Amoklauf. Das Programm erzeugte im Handumdrehen eine mit der Parteilinie im Einklang liegende Stellungnahme.
Pomp:
Das musste doch zu weitgehend gleichlautenden Äußerungen führen. Bemerkte das niemand?
Blinser:
Nö, so grundsätzlich hatte sich ja gar nichts geändert. Aber jetzt konnte auch jeder Lokalpolitiker zu Themen Stellung nehmen, von denen er nichts verstand, ohne das das auffiel - eine Kunst, die früher nur höhere Parteigranden beherrschten. Außerdem hab ich das Programm ja sehr bald ausgebaut: heute gibt es zum Beispiel den Konformitätsregler, mit dem man Abweichungen von der Parteilinie erzeugen kann. Aber da sollte man vorsichtig sein, ich empfehle Einstellungen von 0.9 bis 1.1, alles andere ist nur noch schwer zu kontrollieren. Man hat ja bei Heiner Geißler gesehen, was passiert, wenn jemandem die Hand mit der Maus ausrutscht!
Pomp:
Gibt es noch andere Highlights?
Blinser:
Klar. Mein absoluter Liebling ist der Tabu-Button. Erzeugt einen Tabubruch mit garantiertem Aufmerksamkeitseffekt. Wird besonders von Nachwuchsleuten gerne benutzt.
Pomp:
Vielleicht können wir doch noch ein wenig über ihr aktuelles Projekt erfahren?
Blinser:
Nun gut … Wie sie vielleicht gehört haben, hat ein großer Sender ein neues digitales Nachrichtenstudio eingerichtet. Was sie nicht wissen: inzwischen testet man schon digitale Nachrichtensprecher. Hat riesige Vorteile: keine schiefsitzenden Krawatten mehr, keine falsch ausgesprochenen Fremdworte - und billiger wird es auch, zumindest auf Dauer.
Pomp:
Und glauben sie, dass der Zuschauer das akzeptieren wird?
Blinser:
Der Zuschauer wird gar keinen Unterschied feststellen. Aber das alles ist nur die Vorbereitung auf das, woran wir arbeiten: unser Programm Premium News Content wird die Nachrichten selbst erzeugen! Ich gebe zu, dass die grundlegenden Einstellungen, die man übrigens unverändert über den Menüpunkt "Extras/Einstellungen …" erreicht, sehr viel komplexer sind als bei der naturgemäß sehr einfach gehaltenen Parteiensoftware, aber wenn erst einmal alles eingerichtet ist, erzeugt das Programm zu den vorgegebenen Uhrzeiten automatisch komplette Nachrichtensendungen. Eigentlich nicht anders als bei meinem ersten kleinen Programm: per Zufallsgenerator und mit Textbausteinen.
Pomp:
Das ist schon faszinierend. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine derartige Sendung die Zuschauer interessieren würde.
Blinser:
Aber selbstverständlich werden sie das! Wir arbeiten die Wünsche und Erwartungen der Zuschauer natürlich in die Software ein! Derzeit prüfen wir die Möglichkeit regionaler Differenzierung, es kann doch niemand ernsthaft glauben, dass ein und dieselbe Nachrichtensendung unsere Zuschauer sowohl in Cottbus als auch in, sagen wir, Rosenheim zufriedenstellen kann. Außerdem: wir sind ja nicht die erste Branche, die diesen Weg geht. Denken sie an die Popmusik: die Musikkonzerne sind uns weit voraus, oder nehmen sie unsere Lebensmittel: wen kümmert es denn, dass der Frass von der Chemieindustrie stammt, solanges es billig ist und schmeckt!
Pomp:
Hmh.
Blinser:
Mir soll keiner kommen und was erzählen von künstlich und so. Realität ist Realität, und das ist eben Realität, die wir erschaffen! So einfach ist das! Realität: billig, praktisch und gut!
Pomp:
Wo sie recht haben, Herr Blinser, werde ich nicht widersprechen. Na dann, prost!

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